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Wertlose Werte

Ja, ich bin total der Langweiler, Spaßbremse, vermutlich linksgrünversifft und was weiß ich noch alles, hab natürlich noch nie Spaß im Leben gehabt und noch nie über die Stränge geschlagen. Außerdem weiß ich auch, dass ich ein Heuchler bin, dass man bei der Summe nicht nein sagen konnte und dazu möchte ich natürlich keinen Erfolg, weil wenn sich in der Bundesliga etablieren möchte, dann muss man solche Deals annehmen.

Ihr merkt es schon, es geht um den neuen Hauptsponsor des VfB Stuttgart. Ein Wettanbieter, Glücksspiel und Onlinecasino. Mein Verein scheint zu einem Dr. Jekyll und Mr. Hyde verkommen zu sein. In der einen Woche wird mit salbenden Worten die Gründung einer Stiftung „Brustring der Herzen“ verkündet, seit Jahren legt man viel Wert auf VfBfairplay und versucht auch sonst sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Am nächsten Tag packt man sich dann einen Wettanbieter auf die Brust. Geht es noch scheinheiliger, wo sind die großen Worte zur gesellschaftlichen Verantwortung hin? So äusserte sich Alexander Wehrle noch vor Wochenfrist bei der Gründung der Stiftung wie folgt:

Wehrle ließ durchklingen, dass nicht der Sponsor den Zuschlag bekommt, der das meiste Geld auf den Tisch lege. Er müsse zum VfB und seinen Werten passen.

Stuttgarter Nachrichten

Der VfB selbst schreibt in seinem Leitbild

Wir stehen für Fairplay und übernehmen Verantwortung beim Fußball, in der Gesellschaft und im Umgang mit unserer Umwelt. Wir leben klare Werte vor und lassen uns an ihnen messen. Auch dann, wenn wir Fehler machen.

vfb.de bzw. leitbild.vfb.de

Beim Geld scheint es dann vorbei zu sein mit den Werten, denn wie kann man von gesellschaftlicher Verantwortung sprechen und dann eine Branche auf die Brust holen, die Milliardenumsätze macht (das alleine ist natürlich nicht verwerflich), aber dies teilweise mit der Abhängigkeit von Menschen. Gerade junge Erwachsene lassen sich von dem vermeintlichen schnellen Geld verleiten und verwetten mehr als nur ein paar Euro. „Aber Alkohol“. Ja natürlich, keine Frage, Alkohol auf der Brust wäre nicht besser und jede andere Werbung für Produkte, die abhängig und süchtig machen können. Aber da es weder Alkohol noch sonst was ist, sprechen wir nun über Glücksspiel, da helfen die Vergleiche und das „aber“ auch nicht. Alles nicht so schlimm, es sind ja Erwachsene und die können ja selbst enscheiden, ob sie wetten oder nicht? Menschen, die das behaupten, haben keine Ahnung wie manipulativ um Wetten geworben wird, wie einfach und unkompliziert der Einstieg ist. Hier ein 100 Euro Startkapital, hier eine Gratiswette und es sieht so einfach aus ein paar Euro zu verdienen. Es ist schön für alle, die von sich behaupten können, dass es ihnen nichts ausmacht und sie nicht reinrutschen. Die Zahlen sagen da was ganz anderes:

Fast eine halbe Million Menschen in Deutschland tut dies problematisch oft, eine pathologische Spielsucht haben offiziell rund 215 000 von ihnen, die Dunkelziffer dürfte deutlich darüber liegen.

jetzt.de

Sprich der VfB wirbt damit für eine Branche, die gut eine halbe Million Menschen in ernsthafte Probleme stürzt und gut 215.000 Menschen in Deutschland sind sogar spielsüchtig. Ist das diese beschriebene gesellschaftliche Verantwortung? Dieses Geld von Leuten, die in die Spielsucht getrieben und gezogen werden, davon lassen wir uns das Trikotsponsoring bezahlen?

Am Ende einer „Spieler*innenkarriere“ steht in den allermeisten Fällen eine hohe Verschuldung. Nur eine Minderheit von knapp 28 Prozent der süchtigen (pathologischen) Spieler*innen haben keine Schulden, bei ca. 18% übersteigt der Schuldenstand einen Gesamtwert von 25.000 €.

automatisch-verloren.de

So leid es mir tut, die Werte von denen Alexander Wehrle und der Verein unter Präsident Claus Vogt sprechen, die man im Leitbild leben möchte, werden mit den Füßen getreten. Diese Werte scheint es nur auf dem Papier für den schönen Schein zu geben. Es betrifft im übrigen nicht nur die betroffenen Menschen selbst, nein auch die Allgemeinheit, die Gesellschaft hat ihren Teil zu tragen:

Glücksspielsucht verursacht erhebliche volkswirtschaftliche Kosten. Einer Studie zufolge belaufen sich die Kosten, die in Folge von süchtigem bzw. problematischem Spielen für die deutsche Volkswirtschaft entstehen, auf insgesamt 326 Millionen Euro pro Jahr. Diese Summe setzt sich aus direkten und indirekten Kosten zusammen. Zu den direkten Kosten (insgesamt 152 Mio. Euro) zählen zum Beispiel Aufwendungen für die stationäre und ambulante Behandlung von Spielsüchtigen (17 bzw. 24 Mio. Euro), hinzukommen finanzielle Verluste, die durch Beschaffungskriminalität sowie Gerichts- und Strafverfolgungskosten zustande kommen. Die indirekten Kosten (insgesamt 174 Mio. Euro) entstehen vor allem durch die Verluste von Arbeitsplätzen und durch krankheitsbedingte Fehlkosten.

automatisch-verloren.de

Viele werden darüber lachen, hier „mimimi, hihi freu mich wenn es wegen Typen wie dir ein Wettanbieter wird“. Ehrlich, wer so auf andere Menschen, auf Kosten für die Allgemeinheit – verzeiht mir das Wort – scheißt, mit solchen Leuten brauche ich nicht diskutieren, das wird einfach nur noch weggeblockt. Den VfB selbst wird es nicht jucken, aber ich werde mit Sicherheit kein Trikot in den nächsten drei Jahren erwerben, mit diesem Sponsor.

Wo wir beim Sponsor wären, hat sich der VfB eventuell mal damit beschäftigt, wie der neue Sponsor so in der Öffentlichkeit auftritt? Also wer noch nicht genug gelesen hat, der mag einmal hier weiterlesen:

Aber das passt bestimmt auch prima zu den Werten des VfB Stuttgart.

Nachtrag: Viele schauen ja so gerne auf die Insel zur Premier League. Dort werden Wettanbieter bald von der Brust verbannt. Die Vereine haben dies selbst entschieden, auch weil ein Verbot der Werbung im Raum steht. Also einfach total ungefährlich und easy.

3 Kommentare

  1. Bin ganz bei dir. Ich schäme mich für diesen verlogenen Verein. Da haben wir einen sogenannten Fanpräsident der den FC Player fair gegründet hat und immer von Kommunikation und Transparenz geredet hat, was nach der Wahl nicht mehr stattgefunden hat.
    Da wird über Werte geredet aber wenn es ums Geld geht drauf gesch…
    Dass sich Menschen wegen Wettschulden umbringen interessiert auch niemand. Wirklich traurig was aus diesem Verein geworden ist. Danke für die Objektivität.

  2. Lieber Martin,
    herzlichen Dank für Deinen Beitrag.

    Es sind genau fiese zwei essentielle Dinge, die mich echt fassungslos zurücklassen:

    1. Der Sponsor an sich (Wettanbieter mit all den von Dir oben beschriebenen Folgen)

    Was für mich jedoch viel schlimmer wiegt:

    2. Die Verlogenheit. Die ist für mich wirklich dramatisch. Sie treten die eigenen Werte mit den Füßen in die Scheiße. Wahnsinn.

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