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Lieber Thomas Hitzlsperger (oder ein paar Worte zur Philosophie)

Kurzes Vorwort: Am gestrigen Montag (14. Mai 2018) fand zum ersten Mal der 11Freunde Saisonrückblick in Stuttgart statt. Im Theaterhaus waren neben dem gastgebenden Philipp Köster der Sky-Moderator Kai Dittmann und die VfB Legenden Karl Allgöwer und Thomas Hitzlsperger zu Gast. In einer kurzweiligen Veranstaltung sprachen sich die vier einmal kreuz und quer durch die Saison, über den Videoschiedsrichter, den HSV Abstieg, viele weitere Themen und natürlich den VfB Stuttgart.

Unabhängig von Vereinen kam das Gespräch auf „was ist eine Philosophie für einen Verein“. Natürlich ist in dieser Runde die Zeit zu kurz, sich länger mit dem Thema zu beschäftigen. Kai Dittmann begann auszuführen, dass Vereine mit einer Philosophie immer noch Erfolg haben und sich – natürlich auch mit ein zwei Euro im Hintergrund – etablieren und vor allem Erfolg haben können. Thomas Hitzlsperger nahm hier den Faden nochmals auf und fragte Kai Dittmann was und ob der VfB eine Philosophie hatte, zum Beispiel im Meisterjahr 2007 oder auch jetzt. Gab zu bedenken, dass man ja nicht immer einen richtigen Trainer finden könne. Und vor allem, dass sich mit jedem Trainer die Philosophie ja ändern kann, sprich der neue Trainer wieder neue Spieler haben möchte und alles wieder über den Haufen geworfen wird. Und genau an diesem Punkt habe ich gemerkt, dass ich eben nicht beim BrustringTalk bin und leider mal nicht kurz was dazu sagen kann, auch wenn es eigentlich raus musste. Und deswegen über diesen Weg hier:

Lieber Thomas Hitzlsperger,

erst einmal: es ist schön, dass ein ehemaliger Spieler wie Du, der weit über den Tellerrand blicken kann, heute beim VfB ist. Und ja ich glaube, die jungen Spieler können genau von Menschen wie dir viel mitnehmen. Und wir alle würden uns freuen, wenn zukünftige Talente länger bei uns bleiben können und nicht wie von Karl Allgöwer erzählt „der geht mir hier kaputt“ (Karl-Heinz Förster über Timo Werner) aus unterschiedlichsten Gründen der Verein verlassen (müssen). Viel Erfolg dafür.

Ich möchte gerne den Faden aufnehmen beim Punkt „Philosophie“ und das mit jedem Trainerwechsel diese über den Haufen geworfen ist oder wir. Du hattest selbst den Trainerwechsel beim BVB von Bosz zu Stöger hin als unglücklich bezeichnet. Weil zuvor eben immer nach vorne gespielt wurde, Ballbesitz und dann kam Stöger mit seinem defensiven Fußball. Ja, es war eine Veränderung der Philosophie – es war kein Fehler von Stöger, sondern des BVB hier diesen Bruch zu riskieren. Kurzfristig mag es den Erfolg (CL Quali) gebracht haben, mittel- und langfristig wird sich zeigen, wenn wir wissen wer der neue Trainer ist. Wird das „alte“ Konzept, die bisherige Philosophie von Tuchel und Bosz wieder aufgenommen, weitergeführt oder bleibt der BVB bei der Ausrichtung von Stöger.

Aber und jetzt kommen wir zu dem was ich gestern am liebsten in die Runde gerufen hätte: eine Philosophie sollte nicht der Trainer vorgeben oder von ihm abhängen, sie sollte von der sportlichen Leitung vorgegeben werden, sie sollte vom gesamten Verein gelebt und durchgezogen werden. Von den Jüngsten im Verein bis hin zu den Profis in den Bundesliga-Stadien. Ja, das ist nicht einfach und vermutlich auch ein bisschen Fußballromantik. Aber ich glaube, dass es funktionieren kann. Beispiel, der symbadische Klub des SC Freiburg. Die lassen sich (gefühlt) nicht von ihrem Weg abbringen, haben ein Trainer der schon lange im Verein ist, der schon die Jugend trainiert hat. Der Verein fällt nicht bei einer Negativserie um, hält Christian Streich die Stange und sie bleiben in der Liga. Sie verlieren wieder Spieler wie Kempf, sie werden wieder junge Spieler nachziehen. Und wenn Streich einmal nicht mehr auf der Trainerbank sitzt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass ein Jugendtrainer des SC dort Platz nimmt. Ich glaube, der SC verfolgt einen mittel- und langfristigen Plan und das ist meiner Meinung nach eine Philosophie. Eine gelebte Philosophie.

Natürlich wird so etwas – die schönsten Pläne können scheitern, wenn der Druck und die Negativserie zu groß wird – gerne mal über den Haufen geworfen. Spieler können nicht mehr mit dem Trainer, Spieler nicht mit anderen Spielern, was auch immer schief läuft, manchmal müssen Vereine reagieren und die schöne mittel- und langfristige Philosophie über den Haufen werfen, weil der Abstieg droht, das Verpassen der CL, was immer die Gründe sein mögen. Nun sollte es aber meiner Meinung nach so sein, dass der Verein sich eben genau den Trainer sucht, der zu dem passt was sich der Verein vorstellt. Und eben nicht einen Trainer der alles anders machen will, der alles was in der Jugend gespielt wird über den Haufen wird und den Verein komplett umbauen will. Das sollte von der sportlichen Leitung und vielleicht auch ein bisschen von einem Leiter des NLZ mit vorgegeben werden, die DNA des Vereins. Idealerweise würde ein Trainer wie Tedesco (den der VfB hat ziehen lassen) vielleicht diese Position übernehmen, der schon da ist. Zum Retten der Saisonziele die letzten Spiele Beton anrühren? Geschenkt. Natürlich. Aber spätestens zur nächsten Saison wieder versuchen die Philosophie (welche es auch immer sein mag) mit Leben auszufüllen.

Das kann alles nur funktionieren, wenn es eine Kontinuität im Verein gibt – wir beim VfB hatten sie leider nicht. Bobic, Dutt, Schindelmeiser und jetzt Reschke haben alle ihre Ansätze gehabt. Ob der Plan von Jan Schindelmeiser aufgegangen wäre – wir werden es nie erfahren. Ob der neue Plan, die Philosophie von Michael Reschke funktioniert und aufgeht – wir werden es hoffentlich erfahren. Ja, ich bin ein großer Kritiker von ihm gewesen und auch von Wolfgang Dietrich. Wenn die zwei es aber schaffen, zusammen mit Menschen wie dir im NLZ, dem Verein eine Philosophie zu geben und diese zu leben – dann bin ich der Erste der seinen Hut zieht und ich kann auch Entschuldigung sagen.

Ich hoffe Du liest die Zeilen und würde eigentlich genau diese Diskussion sehr gerne weiterführen.

Viele Grüße,

Martin