Ich gebe mich schon lange keiner Illusion mehr hin. Ein absoluter Großteil der Fans will alle zwei Wochen im Stadion unterhalten werden, dazu gehört natürlich ein bisschen Fußball, die tolle Stimmung genießen und dazu winkt Fritzle ins Publikum, es gibt was zu Essen und zu Trinken. Ein Samstag Nachmittags Programm für die ganze Familie oder mit ein paar Freunden. Sieht man auch daran, wie gut gelaunt einige direkt nach einer Niederlage aus dem Stadion gehen können, so als ob nichts war und der VfB (wie in dieser Saison) nicht noch einen weiteren Schritt Richtung Abstieg taumelte. Die gute Stimmung im Stadion ist im Ticketpreis inkludiert und wenn da mal in der Kurve Ruhe ist, wie bei einem Protest über eine Halbzeit die Saison, dann hört man da schon öfters ein “das dürfen die aber nicht” oder ein “die müssen aber Stimmung machen”. Kurzer Hinweis an dieser Stelle: nein müssen sie nicht. Sie müssen auch keine Choreo machen, die man dann wieder schön in die Profil- oder Kopfbilder auf Instagram oder Facebook pappen kann. Und “Dietrich raus!” dürfen sie natürlich auch nicht rufen, wo kommen wir da hin, wenn jemand eine eigene Meinung hat und die auch noch publik macht.
“Wir”, dazu zähle ich eben alle Fans, die Wolfgang Dietrich kritisch hinterfragen, denen eine Niederlage noch das ganze Wochenende verhageln kann, denen es ist nicht egal ist wie (einmalige Ausgliederungs-)Millionen verbrannt werden, “wir” sind ein kleiner Teil. Auch heute würde eine Ausgliederung mit der richtigen Kampagne, ein paar schicken Reden, Videos und populistisch ausgerufenen Zielen, durchgewunken werden. Vielleicht nicht mehr mit gut 85%, vielleicht nur noch mit 75%, aber es würde reichen. Einem Großteil der Fans ist es nämlich einfach egal, ob dem VfB ein Wolfgang Dietrich oder ein anderer Präsident voransteht. Ob Dietrich mit Quattrex verbandelt ist und wie – auch das erscheint unwichtig, vielleicht ist es auch einfach zu schwer zu verstehen, es ist zu komplex. Man möchte doch nur den VfB gewinnen sehen, ein schickes neues Trikot kaufen und ein Bier und ne Wurst essen. Und ja, das ist jetzt sehr vereinfacht gesprochen, aber trifft den Kern vielleicht doch ganz gut. Und nochmals ja, es trifft mit Sicherheit nicht auf alle Fans zu. Aber so lässt sich erklären, warum großspurige Reden mit Erfolg und der VfB gehöre wieder nach vorne usw. einfach immer noch und immer wieder funktionieren werden. Die Sehnsucht nach dem Erfolg und der Strahlkraft des “alten” VfB Stuttgart, damals vor vielen Jahrzehnten.
Und diese zwei Seiten werden nie zusammenfinden – einen großen Anteil daran hat Wolfgang Dietrich. Da er den Verein wie kein anderer gespalten hat. Im Frühjahr, als die Themen Quattrex Dank Benjamin Hofmann (kicker) wieder aufkochten, wurde man auf das Ende der Saison vertröstet. Dort wäre dann natürlich genug Zeit sich den Fragen und offenen Punkten in einem Dialog zu stellen. Bald vier Wochen nach dem Abstieg gegen Union Berlin – die Vorbereitung zur neuen Saison hat bereits wieder begonnen – Schweigen im Walde. Kein Anzeichen, dass Dietrich das irgendwie ernst meinte. Zusammenhalt war das wichtige Thema, aber natürlich nur, wenn es ihm in den Kram passt. Und es gibt so viel Bedarf für eine Dialog vor der Mitgliederversammlung. Der Fragenkatalog des Fanausschuss: unbeantwortet. Die ganzen Fragen der Fans: unbeantwortet. Das ist kein Dialog, da ist auch weiterhin kein Wille da auf die „krakeelenden Fans“ zuzugehen.
Am 14. Juli ist Mitgliederversammlung, viele eingereichte Anträge zur Abberufung von Dietrich. Jetzt kommen natürlich die Dietrich-Freunde angerannt. “Der Verein steht so gut da wie noch nie”, “er hat ja so viel bewegt”. Um da nur mal ein paar exemplarische Meinungen, die einem auf Twitter entgegenkommen zu zitieren. “Macht es doch besser” oder “schlagt doch Alternativen vor, wenn ihr es besser wisst” sind dann die Höhepunkte in der Argumentationsreihe der Dietrich-Crew. Gegenfragen, was Dietrich besser gemacht hat, was sich verbessert hat, wo die berühmten Rahmenbedingungen so viel besser geworden sind: Todesstille. Der Antrag wird vielleicht auf die Tagesordnung kommen, von Erfolg wird dieser nicht gekrönt sein. Weitere populistische Reden (von Dietrich und seiner Daimler-Support-Crew), irgendwas mit Schutt und Asche, irgendwas mit der DFL und Konsequenzen und das Anliegen wird abgeschmettert. Ein Denkzettel für ihn, maximal.
Und das ist erstaunlich, zeigt aber, dass die Sicht des schwierigen UmfeldesTM eine andere ist, wie die der breiten Masse. Natürlich hat Dietrich den Abstieg zu verantworten. Es war seine “einstimmige” Personalentscheidung, die Reschke gegen Schindelmeiser getauscht hat. Die Entscheidungen von Reschke, die Millionen verbrannt haben, sind also durch Dietrich eingeleitet worden. Das Blenden lassen des 7. Platzes in der Vorsaison. Der aufgeblähte millionenteure Kader, der jetzt mühevoll wieder entschlackt werden muss. Die Entscheidung Weinzierl länger zu halten, da man nicht als Trainerfresser (haha) VfB dastehen wollte – ein wichtiger Mosaikstein für den Abstieg. Seine katastrophale Außendarstellung (“steht quer im Stall” um nur ein Beispiel zu nennen) die die AG schlicht und einfach Geld kostet. Dies wirklich nur ein kurzer Auszug der Fehler von Wolfgang Dietrich.
Warum interessiert es die breite Masse nicht? Und hier schließt sich der Kreis, weil es über das Level “Unterhaltung am Samstag Nachmittag” hinausgeht. Damit will man nichts zu tun haben oder sich Gedanken darüber machen. Und da gebe ich mich eben keiner Illusion hin: dieser Teil wird immer größer werden. Aber ich bin froh und glücklich über meine kleine Blase – das kleine gallische Dorf des VfB Stuttgart.
Hi!
Insgesamt bin ich sehr dicht bei Dir.
Wir sollten aber dabei aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr für was Besseres halten.
Wir sollten versuchen, auch die breite Masse zu verstehen, und wir sollten versuchen, den einen oder anderen zu überzeugen.
Ich weiß, das ist nicht so einfach.
Die breite Masse liest keine Fan-Blogs und hört keine Podcasts, die bekommen ihre Infos meist nur aus Massenmedien und vom Nachbar oder Arbeitskollegen, etc..
Trotzdem…
Winziger Kritikpunkt:
Dein ‚kurzer Hinweis‘ geht zu nahtlos in die ‚Eigene-Meinung‘-Polemik über.
Deswegen hab ich das ja geschrieben, dass wir eben nicht die breite Masse sind. Das sehe ich ja genauso und dessen bin ich mir bewusst. Von „uns“ nimmt sich auch keiner zu wichtig, so wie ich alle einschätzen kann, die ich kenne.
Mein kurzer Hinweis ist keine Polemik, sondern auch eine Einschätzung die ich in S- und U-Bahn gemacht habe, wie viele Fans die CK sehen.