Aus der Ferne betrachtet macht der VfB Stuttgart glaube ich gerade Spaß. Bzw. viele Fans in Fußballdeutschland, welche nur Sportschau, Sky und DAZN schauen, dürften diesen Eindruck bekommen. Als Aufsteiger nach dem 15. Spieltag mit 21 Punkten, 30 geschossenen Toren und auf Platz 1 der Auswärtstabelle stehend, das sind schon traumhafte Umstände. Groß waren die Zweifel, ob der VfB überhaupt in der Bundesliga bestehen könne. Die Spieler zu jung, zu unerfahren und in der 2. Bundesliga hatte man sich schließlich eher durch die Unfähigkeit des HSV durchgesetzt. Bielefeld als Meister war sportlich nicht zu erreichen. In der Bundesliga aber ist auf einmal das zu sehen, was VfB Fans seit Jahren vermisst haben: Fußball der Spaß macht, Spielfreude und vor allem eine Mannschaft steht auf dem Platz. Eine Mannschaft bei der man wirklich das Gefühl hat, sie stehen gemeinsam auf dem Feld, kämpfen gemeinsam und wenn einer mal verletzt oder gesperrt ist, springt ein anderer in die Lücke und füllt diese.
Spieler haben sich weiterentwickelt, bei denen man gar nicht mehr wirklich daran glaubte, dass sie es noch beim VfB packen. Borna Sosa liefert seit seiner Vertragsverlängerung starke Leistungen ab. Castro hat sich als Kapitän mehr als stabilisiert und scheint seinen berühmten zweiten Frühling im Kreise seiner jungen Mitspieler zu erleben. MOK, vielleicht ohne die Bürde der Binde, spielt befreit auf mit deutlich verbesserter Leistung – alleine der Pass im Spiel gegen Augsburg, der zum 2:0 führte. Dies sind nur ein paar Beispiele und der Dank an diese Entwicklung gebührt natürlich Pellegrino Matarazzo und seinem Trainerstab, Sven Mislintat und auch Thomas Hitzlsperger, der für die Entwicklung natürlich mitverantwortlich ist. Die sportliche Richtung mit jungen, entwicklungsfähigen Spielern – eine Richtung, bei der sich viele Fans an die jungen Wilden zurückerinnert fühlen, eine Richtung, mit der sich fast alle VfB Fans identifizieren können. Kurz und gut, wir VfB Fans könnten gerade ziemlich glücklich sein. Zugegeben, das sind wir auch. Sportlich.
Thomas Hitzlsperger, Vorstandsvorsitzender der AG, im Schnelldurchgang an diese Position aufgestiegen, Meistertorschütze (okay es war das sehenswerte 1:1) von 2007, Bundesverdienstkreuz- und Sympathieträger und wie eben schon geschrieben mitverantwortlich für den sportlichen Erfolg. Und hier trennt sich unter den VfB Fans wieder einmal die Spreu vom Weizen. Wenn einem die Stadionwurst, guter Fußball und die Zusammenfassung in der Sportschau reicht, dann könnte man das Gefühl bekommen „The Hammer“ will auch weiterhin für seinen VfB das Beste. So wie auch das Framing am Sonntag bei Sport im Dritten ganz gut funktionierte. Man konnte das Gefühl bekommen, dass der Frontalangriff auf den Präsidenten des VfB Stuttgart e.V. gar nicht so schlimm war und der sportliche Erfolg auf keinen Fall gefährdet werden darf. Das werden auch viele Zuschauer*innen so mitnehmen. Es ist auch verständlich, zu anstrengend die Strukturen und Seilschaften in Verein und AG. Dann lieber schönen Fußball genießen.
Horrorszenarien, ein schon länger beim VfB verwendetes Instrument um unliebsame Entscheidungen durchzudrücken, sind leider mal wieder ganz präsent. Egal ob der sportliche Absturz droht (nur die Ausgliederung bringt Erfolg) oder ein Präsident abgewählt oder zum Rücktritt bewogen werden soll (Chaos!). Eingetreten ist bisher nichts davon, außer ein zweiter Abstieg nachdem die Ausgliederungskohle von Reschke und Dietrich verpulverisiert wurde. Dieser kurze Ausflug als Einschätzung wie Drohkulissen bisher eingesetzt wurden, für alle die sich nicht so intensiv mit dem VfB beschäftigen (oder wollen). Denn genau ein solches Szenario zeichnete Hitzlsperger in seinem offenen Brief auf, denn seine Kandidatur bzw. die Bewerbung ist die letzte Chance, den VfB vor dem Untergang zu retten. Vielleicht stimmt das sogar, aber nicht aus einem Grund, wie man denken könnte. Eben nicht weil Claus Vogt alles bremst und blockiert.
In einigen Medien wird die Kandidatur gerne zu einem Kampf Claus Vogt vs. Thomas Hitzlsperger hochstilisiert und vergisst dabei die wahren Probleme der Kandidatur und vor allem werden viele Hintergründe nicht berücksichtigt. Wenn eine Kandidatur durch den Vereinsbeirat von einer Kanzlei überprüft werden muss, dann bekommt man schon ein Gefühl dafür, wie kritisch diese Bewerbung im Rahmen der aktuellen Satzung ist. Aktuell ist Claus Vogt in seiner Funktion als Präsident auch ein kontrollierendes Instrument für die AG und nicht nur ein netter Grüßonkel-Präsident, der Siegerbilder aus den Stadien postet und Termine wie im Seehaus in Leonberg wahrnimmt. Was man ihm interessanterweise aber auch vorwirft. Wenn nun Thomas Hitzlsperger diesen Posten übernimmt, wer kontrolliert dann noch? Richtig. Es wäre eine Doppelfunktion, die hier eingenommen wird und um es vorsichtig zu sagen, den Verein noch weiter wie je zuvor in eine reine Statistenrolle verdrängt. Nach der Ausgliederung die zweite Stufe in der Entmachtung des e.V., obwohl dieser doch ein Großteil der Anteile der AG hat. Selbst ein Dr. Gaiser hat eine solche Situation vor der letzten Präsidentenwahl ausgeschlossen. Kommt hier ein Wortbruch auf uns zu?
Nach dem aktuellen Stand der Dinge, scheint die Frankfurter Kanzlei an der Bewerbung nichts rechtlich Bedenkliches zu finden. Ein weiterer Fall von rechtlich ist es in Ordnung, moralisch aber nun wirklich nicht. Um genau solches Szenario zu unterbinden hat Ron eine Änderung an der Satzung vorgeschlagen und eingereicht. Gut so. Es geht hier nicht um pro Vogt oder pro Hitzlsperger, es geht darum, dass nicht eine Person eine solche Machtfülle an sich reißen kann, damit alle liebsamen und unliebsamen Entscheidungen kurzerhand durchgedrückt werden können, dass die Kontrollfunktion des e.V. verloren geht. Darüber wird leider zu wenig berichtet und geschrieben. Das ist einer der Hauptgründe warum viele VfB Fans auf die Barrikaden gehen.
Wir wollen keinen zweiten Dietrich, keinen zweiten Alleinherrscher. Wir. Das ist leider ein Problem welches ich oft lese, das sind wieder “die”, die Kritiker von der Ausgliederung, die sich jetzt auch an den paar Adressen hochziehen, die für die Ausgliederung missbraucht wurden. Alles halb so wild. Da soll man sich nicht so anstellen, man ist ja auch bei Google oder Amazon. Damit wären wir auch bei dem aktuellen Streitthema. Die Aufarbeitung dieses Datenskandales – und ja es ist einer, die Daten wurden unerlaubt weitergegeben. Auch wenn es nur meine Mailadresse war, es war und ist auch ein Vertrauensbruch. Claus Vogt will die komplette Aufbereitung, in der AG scheint man daran nicht so interessiert zu sein. Kicker, StN/StZ berichten einheitlich, dass Anfragen von Esecon, die zur Aufarbeitung notwendig sind, nicht beantwortet werden – aussitzen irgendwie. Mal wieder.
Einer der Kernpunkte des offenen Briefes, die Kosten, gut 500.000 Euro sind es wohl aktuell, sie würden den Verein quasi in Existenznot bringen. So stand es im offenen Brief zu lesen. Entkräftet durch eine Versicherung, die hier greift und die Kosten größtenteils übernimmt. Was aber bringt den Verein dann so in Existenznot? Man kann nur vermuten, dass hier noch ganz andere Leichen im Keller liegen, die durch Esecon ans Tageslicht kommen und die einige Herren beim VfB in ziemliche Erklärungsnot bringen würden. Vermutlich nicht nur in Erklärungsnot. Anders lässt es sich meiner Meinung nach nicht erklären, dass Hitz seinen guten Ruf, sein hohes Ansehen bei den VfB Fans und auch in Fußballdeutschland so aufs Spiel setzt.
Hat man in der AG wirklich geglaubt, man würde die Bewerbung mit ein paar Tagen Shitstorm aussitzen können, es wäre danach alles wieder vergessen Dank der Popularität von Thomas? Hat man wirklich geglaubt, es gibt niemand mehr, der kritisch – durch den sportlichen Erfolg geblendet – auf das Treiben in der AG schaut? Hat man wirklich geglaubt, wir hätten Porth, Jenner, Schraft und Co. vergessen? Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen, die Reaktionen, regional und auch teilweise überregional, haben Thomas Hitzlsperger wohl überrascht. Ehrlich, ich glaube es nicht, er muss sich dessen bewusst gewesen sein, ich schätze ihn als so intelligent ein. Er hat mitbekommen wie Dietrich, auch von Blogs, Podcasts und Rednern auf der Mitgliederversammlung in seine Bestandteile zerpflückt wurde. Ich bin der Überzeugung, es war nicht sein alleiniger Antrieb diesen Brief zu schreiben, diese Bewerbung abzugeben. Aber er ist natürlich verantwortlich dafür, er hat mit seinem Namen unterschrieben. Warum sind diese harten Worte gewählt wurden, warum wurde nicht ein alternativer Kandidat (man munkelte Cacau) vorgeschlagen – das alles entzieht sich meiner Erkenntnis. Ich bin mir sicher, ein netter Brief, nette Worte und ein Dankeschön, aber dass es mit Claus nicht weitergehen kann und man Kandidat X vorschlägt. Es hätte vermutlich keine hohen Wellen geschlagen, keine deutschlandweiten Artikel dazu gegeben. Auch eine Wahl zum gewünschten Präsidenten hätte ich diesem Vorgehen hohe Chancen eingeräumt. Aber so wurde – mal wieder – der Kampfmodus aktiviert.
Und die Leichen im Keller, die müssen wir endlich rausholen und ans Tageslicht bringen – in der zarten Hoffnung, dass es diejenigen Köpfe von Darstellern an der Mercedesstraße kostet, die schon seit Jahren ihr Unwesen dort treiben. Der sportliche Erfolg darf nicht davon ablenken und keine Ausrede sein, dass im Inneren des VfB endlich noch richtig aufgeräumt werden muss. Sonst kommt der Verein nicht zur Ruhe. Dazu gehört die vollständige Aufarbeitung durch Esecon. Ohne Ausbremsen, ohne Blockieren.
Thomas Hitzlsperger kann noch ein Teil davon sein. Ich wünsche es mir sogar. Dazu benötigt es aber eine Entschuldigung für den Brief, den Rückzug der Bewerbung, eine ehrliche Distanzierung und Emanzipierung von Schraft, Jenner, Porth und Co. Mit jedem Tag länger ohne eine Reaktion von ihm oder einer Entschuldigung wachsen allerdings meine Zweifel, ob das noch passieren wird. Ich befürchte leider eine weitere Eskalation der Lage.
Noch ist die Zeit die Wogen zu glätten, es liegt an dir Thomas.